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16.03.2018

The Hanging Tree. Oder: Anatomie des Bösewichts (Spoiler Deluxe)

Ich "schulde" meiner kleinen Internetecke noch das Ende meines Kritik...Rants? Ist es ein Rant...? Es sollte keiner sein, aber vielleicht ist es das doch...Anyway mein Ausdruck des Unverständnisses zu Story-Telling Choices in The Hanging Tree.

Falls man den ersten Teil zu Foxglove Summer ignoriert hat (how could you??;-), lasst mich kurz wiederholen, dass sich die Storyline mehr und mehr mit Hints, Clues, Nebenfiguren und halb-beantworteten Fragestellungen anreichtert, wenn man es nett formulieren wöllte ... zumüllt, wäre ein anderes Wort, das ich verwenden würde.

Dieses Phänomen ist jetzt nicht neu und auch nicht unheard of in groß angelegten Serien, aber an irgendeinem Punkt muss man sich (vermutlich...hoffentlich?) entscheiden welche Teile der established lore man jetzt für den Rest der Geschichte ignorieren will - Harry Potter macht das z.B. ganz hervorragend dadurch, dass der letzte Band einfach außerhalb der ganzen Hogwarts/Ministry of Magic Kontrolle etc. spielt. Dafür gibt es dann Deus-Ex-Harry und drei Teenager im Wald, was wieder ein anderes Problem ist, aber diese Story-Choice ist wirklich hilfreich!;-)

Ich würde mal behaupten Hanging Tree müsste so ein Wendepunkt sein, denn was am Ende passiert ist Folgendes - ab hier Spoilerausstieg links!

1. Complicated things get complicated Deluxe Edition
Ich habe das letzte Drittel dieses Buches jetzt inwzischen 3x konsumiert - in Buchform, in Hörbuchform und dann nochmal in Buchform zu Testzwecken für diesen Blogpost - und ich könnte immer noch nicht zu 100% sicher sagen wer am Ende der Geschichte was will und warum.
Der lang antizipierte Showdown von Hanging Tree lässt sich als furioses Action Spektakel an - *der* Bösewicht, den man seit inwzischen 5-6 Büchern zu fassen versucht, enttarnt sich selbst (dazu kommen wir gleich noch) und es gibt eine Fluchtszene, brennende Autos, eine magische Luftrettung und den Point of No Return, denn jetzt kennen wir seinen Naaaaamen *muahahahaaa*.

Ich fand das bis dahin wirklich unterhaltsam, ganz ehrlich.
Und dann wird es weird, denn plötzlich spearpointed diese ganze Geschichte ausgerechnet in den Treasure Hunt Plotpunkt, von dem ich das jetzt nicht erwartet hätte, aber ok, warum nicht?
Es rasen also 5 oder 6 interessierte Parteien - zählt nach, Folly, Tyburn, FM+Leslie, die Magic Feds, Lady Catherine+Anhang und Foxman - einem Ziel entgegen mit Einblendungen von Tigerboys, dem alten Tyburn Geist, Magic Mumboo Jumboo Nebel und und und.
Das ist schon leicht konfus und wird natürlich noch konfuser in der ich-Perspektive, weil unser Held mehrmals seinen Mission Objective Focus hinterfragen muss.
Soweit auch noch alles halbwegs ok, mein nicht-über-Dinge-weglesen-können und die Frage was zur Hölle Old Tyburn jetzt mit irgendwas was zu tun hat (aka brauchen wir noch mehr unbeantwortete Fragen?), hat mich ein wenig aufgehalten, aber es war zu verkraften.

Und dann nach dieser actiongeladenen Verfolgungsjagdt durch Hyde Park kommen wir an der Stelle an, an der die Geschichte angefangen hat (nice touch there) und unser Ich-Erzähler sitzt plötzlich im B-Team und wir (er und ich) fallen in ein "Hilfe meine Spannungskurve ist ein U" Loch...
Ganz ehrlich, Ich-Erzähler und ich....das wird nichts mehr in diesem Jahrhundert.
Es ist eventuell aus Einsatzplanerischer Sicht eine völlig realistische Entscheidung einen Polizisten (magisch oder nicht) in Ausbildung ins Scouting-Team zu packen.
Was das aber in diesem konkreten Fall bedeutet, ist dass nach einem Spannungs- und Magie-geladenen Sprint durch (gefühlt) die halbe Stadt, wir uns jetzt gaaaaanz laaaaangsam und vorsichtig durch beinahe leere Korridore schleichen, während irgendwo im Off der Major Mage Battle stattfindet, von dem man nur Erschütterungen und Explosionen aus der Entfernung mitbekommt...

Nun, wenn wir jetzt z.B. in The Magicians wären, einem Buch das konsequent und konsistent Erwartungen enttäuscht, dann würde ich das einfach so mitnehmen, denn ich mag sowas eigentlich - in the right time and place. Statt dessen sind wir aber an einen Ich-Erzähler gefesselt, der es in keinem anderen Buch irgendwie vermeiden konnte am Ende einen großen Stand-Of zu haben - bis zum Punkt der völligen Dummheit im letzten Buch, wie man sich erinnern will.
Was statt dessen passiert, ist dass wir die Magic Feds und Tyburn treffen, die sich ein wenig Würde- bzw. Sinnlos aus der Story verabschieden, weil dem Autor vermutlich auch aufgefallen ist, dass ein 6-Seiten-Endkampf zu viel wäre.
Und dann bekommen wir die Light Version des Bosskampfes in der Tiefgarage - was immerhin as obere Ende des Us ist und auch wieder spannend sein könnte, wenn ich über Dinge weglesen könnte, aber....

2. Die Anatomie des Bösen
Bösewichte haben die Tendenz mich zu enttäuschen, ich gebe es offen zu. Meistens bin ich mit einem Gesichtslosen Ur-Bösen marke Sauron oder Darth Vader (wir ignorieren Anakin im Dienste des allgemeinen Wohlbefindens) besser bedient, als mit irgendwas, das versucht eine realpsychologische Motivation zu haben, denn meistens bleibt dafür eh nicht genug screentime und das wird nur so ein halb-Murks.
Was das angeht, war Hanging Tree eine lobenswerte Ausnahme, denn ich mochte (wirklich!) die story choice, dass der Ober-Mega-Super-Bösewicht am Ende so ein Midlife-Crisis Alleinerziehender Vater ist, der völlig die Fassung verliert, als seine Tochter stirbt. Man hätte für mich jetzt noch ein wenig spekulieren können, ob dieses hemmungslose Auseskalieren vielleicht auch ein bißchen was mit der Tatsache zu tun hat, dass es ja nun seine Schuld ist, dass sein kleines Mädchen ihr Gehirn mit Magie frittiert hat, aber das passiert leider nicht, macht aber nicht so viel.
Fakt ist, das "jetzt ist mir alles egal, die Welt soll brennen" gefiel mir gut.

Mein einziges Problem mit der ganzen Geschichte ist, dass man vorher eigentlich nie *den einen* Grund festpinnen konnte warum er irgendwas tut - und auch das war bis zur Tiefgarage völlig in Ordnung, bis man da versuchte das zu ändern....
Denn das Nicht-Akzeptieren gesellschaftlich (oder polizeilich) auferlegter Regeln ist auch eine Motivation und macht eigentlich sogar die besten Bösewichte, denn plötzlich gillt es nicht mehr irgendwas erreichen oder irgendwas verhindern zu wollen, sondern die Protagonist/Antagonist Challange, wenn man so will, hängt sich daran auf, dass beide *dasselbe* wollen - in diesem Fall die Deutungshoheit darüber was Magie kann und darf.

Es gibt ein wunderbares Video dazu, das der viel besser erklärt als ich:



All das hat mich sehr erfreut und machte es - für mich - auch einigermaßen logisch, dass sich Leslie (die wir als gute Polizistin eingeführt finden, die eigentlich nicht für "die bösen Jungs" arbeiten wollen sollte) am Ende für ihn entscheidet, weil sie sich mit der Akzeptanz der willkürlichen Grenzen eben auch schwer tut.

Und dann kommen wir zur Tiefgarage und der direkten Frage unseres Ich-Helden warum der Bösewicht denn umgekehrt mit Leslie arbeiten wollte und (was die eigentliche Frage ist) warum er tut was sie sagt, obwohl er der Mega-Bösewicht ist und sie in seiner Schuld steht.
Und die Antwort ist...sie ist nicht schwarz...?
Ehrlich, ich hab's dreimal gelesen, aber es ändert nichts an der Tatsache, dass dieser ganze wunderschön aufgebaute Bösewicht am Ende ein kleines Nazi-Würstchen ist, das unsrem Haupthelden einen Strick daraus drehen will, dass er kein "echter Brite" ist und daher minderwertiges Magiermaterial.

Und das liebe Kinder, ist eine gute Möglichkeit einen bis dahin interessanten Bösewicht platzen zu lassen, wie einen Luftballon. Er hätte noch eine Pro-Brexit-Rede anschließen können, um seinen Sarg zuzunageln, aber vermutlich war das da noch kein Thema.^^

Man merkt vielleicht, dass ich das wirklich übel nehme, denn es ist so! sinnlos! Mr. Rebel-Mage braucht kein Nazi zu sein, um zu tun was er tut und die "echte" Motivation hinter seinem Interesse an Leslie ist (zumindest so die Spekulation des Ich-Erzählers) am Ende sowieso auch eine andere. Warum also? Waaarum? Es erschließt sich mir nicht.

Der Joker aus The Dark Knight ist deswegen ein großartiger Charakter, weil man ihm Recht geben will. Ja, er tut furchtbare Dinge, aber wenn er sagt, dass er nur einen kleinen Schritt von allen schrecklichen Dingen entfernt ist, die Menschen sich jeden Tag antun und dieser Schritt vor allem darin besteht, dass er nicht versucht Böses als Gerechtfertigt oder For the Greater Good zu verkaufen, dann ist das glaubhaft.
Der Faceless Man war (für mich bis dahin ymmv) ein interessanter Charakter aus einem ähnlichen Grund: Ja, er tut schreckliche und unethische Dinge mit seiner Magie, aber kann man wirklich von sich behaupten, dass man so absolut anders wäre, wenn unendliche Möglichkeiten vor der Nase baumeln? Wenn der Leidensdruck (s. Leslie) oder die Versuchung groß genug wäre?
Und jetzt lernen wir, dass seine große Vision eben nicht die Deutungshoheit über Magie ist, sondern Make Britain Great Again? Sorry, aber ich bin nicht die Zielgruppe, die das gerechtfertigt findet und es macht für mich sinnloserweise die Faszination des Bösen kaputt - denn ja, ich wäre in jedem Fall kein Nazi, egal wieviel Macht ich hätte, Fall geklärt, er ist einfach nur böse, schwarz/weiß, aus.
Macht das einen Bösewicht besser?
Nicht in meinem Buch, es ist eine simple und nachvollziehbare Motivation, aber keine gute.

Diesen ganzen Dispo Punkt könnte man ersatzlos streichen und es würde keinen Unterschied für den Plot machen, aber für die Story hat man sich gerade das letzte bißchen Identifikationspotential für diese Figur zerschossen und als Leser bleibt man mit der Frage zurück: Findet Leslie das auch?!
Und wenn ja, warum?? Und wenn nicht, warum sagt sie dazu nichts?? Sie ist ja offensichtlich in einer Position auf Augenhöhe....? Oder nicht? Und wenn nicht, was sollte dann dieses ganze Gespräch überhaupt?

Die Lektion, die ich daraus gerne ableiten würde, ist diese:
Klischees und klischeehafte Motivationen sind gefährlich. Sie sind leicht einzubauen, aber machen schnell viel kaputt. Also use carefully!

Und bevor man mich jetzt fragt: Ja, ich werde die weiteren Bücher auch lesen, weil natürlich will man jetzt, dass das Nazi-Arschloch plattgemacht wird. Das mag die Intention des Autors gewesen sein, aber logisch, oder spannend (aus erzählerischer Sicht) ist diese plötzliche Schwarz/Weiß Zeichnung (pun intended) nicht. Und das ist schade.

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